Nach Kran-Kollision: SLV Nord überwacht Reparatur der Holtenauer Hochbrücken in Kiel
Wie weit reichen die Risse – wie gut schweißbar ist der Stahl?
Es ist Anfang des Jahres 2023: Die Olympiabrücke, die östliche und schwerer beschädigte der parallelen Brücken, soll als erstes saniert werden. Die reparaturbedürftigen Stellen – nicht zu übersehen: Dort, wo der Kran entlanggeschrammt ist, ist das Bodenblech verformt, Versteifungen im Inneren sind verbogen, Nähte aufgebrochen. Doch in den Details gibt es noch viele Unklarheiten: Wie weit reichen zum Beispiel die entstandenen Risse? Die Arbeit des SLV Nord Teams beginnt daher lange, bevor der erste Schweißbrenner an die Brücke angesetzt werden kann: Die Kollegen führen Magnetpulverprüfungen an den diversen Schadstellen durch und liefern so ein genaues Bild des Ist-Zustands – die erste wichtige Grundlage für die Planung der Sanierungsarbeiten.
Eine weitere wichtige Frage zu Beginn: Mit welchem Material hat man es bei der mehr als 50 Jahre alten Brücke überhaupt genau zu tun? Lässt sich der in die Jahre gekommene Stahl problemlos schweißen, sind Besonderheiten zu berücksichtigen? 18 Werkstoffproben, entnommen aus verschiedenen Bereichen der Brücke, z. B. Außenwand, Bodenplatte und Träger, werden daher in das DAkkS-akkreditierte Prüflabor der SLV Nord geliefert, um hier gründlich untersucht zu werden. „Wenn wir eine solche Schweißeignungsanalyse durchführen, ist das ein aufwändiges Verfahren, das aus einer ganzen Reihe von Einzelprüfungen besteht“, erklärt Werkstoffprüfer Dennis Rudolph. Die Kollegen unterziehen die Proben einer Funkenemissions-Spektroskopie, die ihre exakte chemische Zusammensetzung zeigt, erstellen einen Baumannabdruck, um eventuell enthaltenen Schwefel sichtbar zu machen, und nehmen eine Metallographie vor. Bei dieser werden Makro- und Mikroschliffe unter dem Mikroskop betrachtet, wodurch sich zum Beispiel Schlackezeilen aufspüren lassen. Zu Festigkeit und Verformbarkeit des Stahls liefern Zugproben und Kerbschlagbiegeversuche Informationen. Und hierbei kommt sogleich eine ganz besondere Anforderung ins Spiel: Da geplant ist, an das Bodenblech von außen stützende Lamellen anzuschweißen, muss der Stahl eine ausreichende Z-Güte haben. „Darunter versteht man das Verformungsvermögen in Dickenrichtung“, erläutert Dennis Rudolph. „Ist dieses gering, kann eine derart starke Beanspruchung zu Terrassenbrüchen führen.“ Ein Standard-Zugversuch in Längs- und Querrichtung reicht also nicht aus, ein weiterer Versuch in Dickenrichtung ist nötig. Die gute Nachricht: Der Stahl besteht die Zusatz-Prüfung und ist auch sonst in jeder Hinsicht schweißgeeignet.
Wer schweißt? Arbeitsproben unter Baustellenbedingungen
Frühjahr 2023: Auf der Basis der Schadensprüfung und Schweißeignungsanalyse der SLV Nord haben die vom Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein beauftragten Ingenieure die schweißtechnischen Zeichnungen sowie Schweißanweisungen erstellt. Damit steht die nächste Aufgabe für das Qualitätssicherungs-Team der SLV Nord an: Alle Unterlagen sichten, genau auf Richtigkeit prüfen – passen die Planungen wirklich zu den Ergebnissen der vorherigen Prüfungen? –, Fehler korrigieren, und schließlich grünes Licht geben für diese wichtige schriftliche Grundlage aller folgenden Reparaturarbeiten.
Auch wenn damit nun klar ist, was zu schweißen ist, gilt das noch nicht für das „Wer“. Zusätzlich zur DIN EN 1090, der Norm für den Stahl- und Metallbau im bauaufsichtlichen Bereich, in der Ausführungsklasse EXC 3 gelten für die Brückensanierung die ZTV-ING – die „Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen für Ingenieurbauten“. „Diese stellen ganz besonders hohe Anforderungen an die Auswahl der Schweißer“, erklärt SLV Nord Bauüberwacher Martin Westphal: „Jeder, der an der Reparatur mitwirkt, muss nicht nur über die jeweils notwendigen Schweißzertifikate und Zusatzzertifikate verfügen, sondern zusätzlich vor Projektstart durch Arbeitsproben seine Handfertigkeit nachweisen.“ Westphal prüft daher mehrere Wochen lang jeden einzelnen der für den Einsatz geplanten Schweißer in seinem Betrieb oder auf seiner aktuellen Baustelle: Mit einer Schweißanweisung, die der anstehenden Aufgabe entspricht, und unter realitätsnahen Bedingungen – d. h. draußen und in Zwangsposition wie Über-Kopf-Haltung – schweißen alle Mitglieder des künftigen Reparatur-Teams diverse Probenähte. Im Prüflabor der SLV Nord werden diese anschließend genau auf ihre Qualität untersucht.
Blei-Alarm im Stahlhohlkasten!
Während Vorbereitungen wie diese laufen, hat sich im Stahlhohlkasten der Brücke, in dem die Reparatur beginnen soll, noch eine ganz andere Herausforderung ergeben: Der Stahl ist mit einer bleihaltigen Beschichtung überzogen. Das heißt: Wird hier geschweißt, entstehen giftige Dämpfe! Überall, wo gearbeitet werden soll, muss daher zuerst die Beschichtung entfernt werden – ein äußerst aufwändiges Verfahren. Die Stellen werden mit körnigem Mittel bestrahlt; damit sich die gesundheitsschädlichen Partikel nicht im gesamten Brückeninneren ausbreiten, ist der Bereich währenddessen mit Planen und Schleusen abgedichtet. Schläuche sorgen für direkte Absaugung nach außen und Zuluft. Ein Betreten der kritischen Zone ist nur im Vollschutzanzug erlaubt. Erst als nach Ende des Entschichtens eine Schadstoffmessung Entwarnung bringt, fällt der Startschuss: Die eigentliche Reparatur kann starten.
Und es ist viel zu tun im Brückenbauch: Kreuzverbände werden als zusätzliche Aussteifungsmaßnahmen für die Bauarbeiten eingebaut, verformte und gebrochene Dreiecks-Längsversteifungen ausgebessert, zusätzliche Hollandprofile eingeschweißt, gerissene Nähte repariert und Querträger durch neue ersetzt. Letztere sind so groß, dass sie nur in Einzelteilen durch die engen Öffnungen ins schwer zugängliche Brückeninnere befördert werden können – zusammengeschweißt werden müssen sie an Ort und Stelle. Dennis Rudolph ist nun mehrmals pro Woche als Bauüberwacher vor Ort, nimmt an Baubesprechungen teil und schaut überall ganz genau hin. Wird richtig vorgewärmt? Wird die Schweißnaht regelwerkskonform vorbereitet? Der korrekte Schweißzusatz verwendet? Und ist die verantwortliche Schweißaufsichtsperson – die Norm erfordert einen Schweißfachingenieur – wirklich vor Ort? Er führt Sichtprüfungen durch – und auch das Magnetpulverprüfgerät ist sein ständiger Begleiter. An besonders kritischen Punkten, die schwierig zu schweißen sind oder großer Belastung standhalten müssen, ermittelt er mit ihm genau, ob die Schweißnähte normgerecht gelungen sind oder eventuell doch Unregelmäßigkeiten aufweisen.
Kieler Woche: Die Olympiabrücke ist befahrbar
Mittlerweile ist Juli 2023 – und das Team rund um die Ingenieurbüro Mohn GmbH als Planungsbüro und Verantwortliche für die Bauoberleitung und örtliche Bauüberwachung, Firma Adolf Cornels GmbH als Ausführer und die SLV Nord als Überwacher hat einen wichtigen Teilerfolg zu verbuchen: Die Reparaturen im Inneren des Hohlkastens wurden rechtzeitig zur Kieler Woche Ende Juni beendet. Das heißt: Die bisher für den Straßenverkehr komplett gesperrte Brücke konnte während der Festtage für Fahrzeuge bis 12 Tonnen freigegeben werden und so das erhöhte Verkehrsaufkommen mit auffangen.
Jetzt, während des Sommers, ist der Außenbereich dran: Die Brücke trägt inzwischen ein rund 15 m langes Hängegerüst, ein Team von Schweißern arbeitet auf einer unter dem Brückenboden hängenden Plattform. Sie verstärken die Unterseite der Brücke mit ca. ca. 8 m langen Stahllamellen, die sich mit etwas kürzeren Stegen abwechseln. Damit diese Stützkonstruktion sicher hält, ist nun Clemens Reichardt von der SLV Nord mindestens einmal wöchentlich auf der Baustelle. Auch seine Aufgabe ist, den Beteiligten genau über die Schulter zu schauen, so viele Handgriffe, wie er kann, zu beobachten. Um sich ein möglichst realitätsnahes Bild machen zu können, kommt er oft auch unangemeldet vorbei. „Neben dem Zusehen und Kontrollieren ist ein großer Teil der Bauüberwachung aber auch das Abgleichen von Daten“, erzählt er von seiner täglichen Arbeit. „Um sicherzugehen, dass wirklich das korrekte Metall oder Gas verwendet wird, vergleiche ich zum Beispiel Nummern auf Stempeln, die ich auf den Produkten sehe, genau mit den in den Ausführungsplänen geforderten. Und damit wirklich nur die für das Projekt zugelassenen Schweißer an die Brücke Hand anlegen, lasse ich mir durchaus auch mal Personalausweise vorlegen.“ Nach jedem seiner Besuche verfasst Reichardt ein Protokoll, das oft mehrere Seiten lang ist und u. a. Ergebnisse von MT-Prüfungen enthält, die auch er regelmäßig durchführt. Ist Reichardt nicht vor Ort, hält er sich in täglichen Telefonaten über den Fortgang der Arbeiten auf dem Laufenden und steht bei Schwierigkeiten beratend zur Seite.
Ein Arbeitsplatz 40 Meter über dem Nord-Ostsee-Kanal
Bereits seit dem frühen Morgen bearbeitet das Schweißerteam heute unermüdlich die Brückenunterseite. Die hängende Plattform ist nur über eine schmale Treppe zugänglich – 40 Meter unter den Füßen glitzert der Wasserspiegel. Definitiv nur ein Ort für Schwindelfreie. Ein mulmiges Gefühl scheint hier allerdings niemand zu haben. Der Arbeitsplatz sei „gut gemacht“, sagt zum Beispiel Schweißer Stefan Seibel, der nicht das erste Mal Schweißarbeiten an einer Brücke verrichtet. Anstrengend sei lediglich das ständige Über-Kopf-Schweißen, das ohne Pause nicht länger als 1,5 bis 2 Stunden möglich sei. Und allein eine Stunde sei schon dafür nötig, die Wurzel einer Lamelle anzuschweißen. Damit die Schweißer bei ihrer anstrengenden Tätigkeit Entlastung finden können, hat Firma Cornels dafür gesorgt, dass auch ein Exoskelett auf der Arbeitsplattform verfügbar ist – wer möchte, kann auf den Oberkörper und Arme unterstützenden Apparat zurückgreifen.
Die Arbeit hoch über dem Nord-Ostsee-Kanal bringt dabei noch eine weitere Herausforderung mit sich – den Schiffsverkehr. Jedesmal, wenn ein Schiff unter ihnen die Brücke passiert, müssen die Schweißer ihre Arbeit unterbrechen, damit dieses nicht von herabfallenden Funken getroffen werden kann. Nahen hohe Schiffe, könnte es sogar zur Kollision dieser mit dem Baugerüst kommen. Schiffe, die mehr als 36 m hoch sind, dürfen daher inzwischen nur noch nachts und an den Wochenenden unter der Brücke hindurchfahren, „Zum Glück wurde diese Regelung getroffen“, erinnert sich Schweißfachingenieur Michael Thomeßen, der die Arbeiten als externe Schweißaufsicht begleitet. „Denn zuerst war geplant, das gesamte über 30 Tonnen schwere Hängegerüst bei jedem nahenden großen Schiff aufwändig auf Schienen zur Seite zu fahren. Etwa sechs Stunden hätte es dann gedauert, bis die Konstruktion wieder an ihrem Platz gewesen wäre und die Arbeit hätte weitergehen können.“
Nächstes Projekt: Prinz-Heinrich-Brücke
Mittlerweile ist Herbst 2023: Die Olympiabrücke ist komplett repariert, das Gerüst abgebaut, der Verkehr rollt wieder wie vor dem Unfall. „Nach der Sanierung ist vor der Sanierung“, heißt es jetzt jedoch für das SLV Nord Team. Die Prinz-Heinrich-Brücke nebenan ist nun dran – die Bauüberwachung geht in die nächste Runde, mit nur wenigen Unterschieden: Eine Schweißeignungsanalyse braucht es dieses Mal nicht, da die Brücke mit Baujahr 1996 deutlich jünger ist. Und: Um das noch milde Wetter auszunutzen, wird zuerst außen saniert, danach innen. Ob Lamellen, Versteifungen oder Profile, Gas oder Schweißzusatz – eines ist in jedem Fall sicher: Die SLV Nord Kollegen werden auch hier wieder ganz genau hinsehen.