Hoch über und tief unter der Elbe: Werkstoffprüfung der Extreme
„Hamburgs Golden Gate“, „schönste Brücke des Kontinents“ – bei der Einweihung der Köhlbrandbrücke kannte die Euphorie keine Grenzen. Doch mit einem hatte man damals, 1974, nicht gerechnet: der heutigen Verkehrslast. Damit die elegante Brücke noch ein paar Jahre die täglich über sie hinwegrollenden Fahrzeugkolonnen tragen kann, lässt die HPA Hamburg Port Authority regelmäßig Instandsetzungsarbeiten an ihr durchführen, so werden etwa kleine Beschädigungen, die sich durch die Belastung im Stahl bilden, repariert. Hierfür ist die Firma HC Hagemann beauftragt, die für die Werkstoffprüfung wiederum auf die SLV Nord zurückgreift: Mittels Magnetpulverprüfung bestimmen unsere Werkstoffprüfer die genauen Ausmaße der Schadstellen. Nachdem sie ausgebessert wurden, wird weitere zweimal geprüft, ob sie wirklich verschwunden sind: nach 24 Stunden Verkehrsbelastung und nach drei Monaten.
Auf der Flucht vor der Schiffsantenne
Für Werkstoffprüfer Dennis Rudolph und sein Team bedeutet das über das gesamte Jahr 2022 hinweg zwei ganz besondere Arbeitsplätze: Einen großen Teil der zu prüfenden Stellen – im Außenbereich der Brücke – können die Kollegen nur über einen kleinen Brückenwagen erreichen, der unterhalb der Fahrbahn entlangfährt. "Auch wenn die Aussicht bei gutem Wetter spektakulär ist – an das Arbeiten in fast 50 Meter Höhe, während unter einem die Schiffe durchfahren, und das zum Teil bei Regen und Wind, muss man sich schon erst gewöhnen", erzählt er. Zudem ist es im Wagen sehr beengt, und auf die Toilette gehen? Unmöglich. Die größte Herausforderung aber ist der Schiffsverkehr: Naht ein hohes Schiff, warnt das Oberhafenamt das Team. Denn dann muss der Brückenwagen schnell zu einem Pylon fahren, damit die Schiffsantenne nicht an ihm kratzt. Wobei "schnell" nicht ganz zutrifft: Eine halbe Stunde dauert es, bis der Wagen von der Mitte der Brücke bis zu einem Pylon gerollt ist. Bis zu zwei Stunden Zeit verliert das Team damit pro Schiff.
Andere Beschädigungen wiederum liegen im Brückeninneren – im Stahlhohlkasten direkt unter der Fahrbahn. Auf den ersten Blick erscheinen diese Stellen leichter zugänglich, doch auch hier sind die Bedingungen nicht alltäglich: Es gibt nicht überall Steckdosen, z. T. müssen Dennis Rudolph und sein Team daher erst einmal lange Kabel durch die Brücke verlegen, um hier überhaupt mit Prüfgerät und Strahler arbeiten zu können.
Mit Vollschutzanzug und FFP3-Maske im Tunnel
Nicht rund 50 Meter über sondern etwa 20 Meter unter dem Wasserspiegel bietet der Alte Elbtunnel dagegen einen Arbeitsplatz ganz anderer Art. Seit 2010 wird der schöne kachelverzierte Bau aus dem Jahr 1911 von der HPA umfangreich saniert – ein Mammutprojekt. Unter anderem sind Schraubengewinde mit den Jahren undicht geworden, weshalb HC Hagemann damit beauftragt ist, ca. 80x80 mm große Kappen darüberzuschweißen. „Die Werkstoffprüfung ist hierbei essenziell wichtig, denn der 100-jährige Brückenstahl ist nur bedingt schweißbar“, erklärt Erwin Stahl, Leiter Stahlbau bei HC Hagemann. Dennis Rudolph und seine Kollegen führen daher auch hier vor und nach dem Schweißen Magnetpulverprüfungen durch, um das Ausmaß der vielen Unregelmäßigkeiten und sogenannten "Walzfehler" im Altmaterial exakt zu bestimmen.
Das Besondere hier: Jeder, der die entkernte Tunnelröhre betritt, muss einen (bewegungseinschränkenden) Vollschutzanzug und eine FFP3-Maske tragen. "Wir verlassen den Tunnel durch eine Schleuse, in der wir den Anzug sofort entsorgen und den Mund ausspülen müssen", so Rudolph. Warum? Fugen zwischen den Tübbing-Elementen enthalten gesundheitsgefährliches Blei – daher die hohen Schutzmaßnahmen.
Auch die Sanierung des Alten Elbtunnels beschäftigt unsere Werkstoffprüfer zumindest die erste Jahreshälfte 2022 über. Damit steht für uns das dieses Jahr in der Werkstofftechnik ganz im Zeichen der „Hamburg-Ikonen“. Ob Brücke oder Tunnel – beide fordern uns durch ihre Besonderheiten auf ihre Weise heraus. Doch vor allem sind wir als SLV Nord außerordentlich stolz darauf, zu der Werterhaltung dieser beiden ganz besonderen, historischen und berühmten Bauwerke unserer Heimatstadt ein Stück beitragen zu dürfen.