Von Cobots bis China: 22. Tagung Schweißen in der maritimen Technik und im Ingenieurbau
Ausgeklügelte Produktions- und Transportsysteme bei STILL
Das Branchentreffen begann mit einer Führung durch Werkshallen voller durchdachter Produktionsabläufe: Bei STILL in Hamburg-Billbrook erhielten die Teilnehmer ausführlichen Einblick in die Herstellung von Gabelstaplern, vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt. Vollautomatisierte Schweißprozesse erwiesen sich dabei als Standard, ob bei der Fertigung von Hubzylindern, Rahmen, Fahrerschutzdächern oder Masten. Doch auch den Blick hin und wieder nach oben zu richten, lohnte sich: STILL nutzt für eine effiziente Produktion ein ausgeklügeltes Transportsystem, das Komponenten wie z. B. Fahrerschutzdächer an Schienen unter den Hallendecken selbstständig zu ihrer nächsten Station fahren lässt – zusätzlich zu automatisiert fahrenden Transportrobotern und automatischen Boden-Transportsystemen.

Dem Austausch über die gewonnenen Eindrücke konnten sich die Gäste ausführlich beim anschließenden Abendessen widmen: In der Elbkuppel des Hotel Hafen Hamburg, hoch über erleuchteten Schiffen und Kränen, wurde noch bis zu später Stunde gemütlich beisammengesessen und geplaudert.

Wann erscheint die neue EN 1090-1? Einblicke in die Normungsarbeit
Am nächsten Morgen eröffnete Armin Schlieter, Geschäftsführer der SLV Nord, den Vortragstag mit einer Vorstellung der 15 Ausstellerfirmen und ihrer Tätigkeitsbereiche und dankte dem Tagungskomitee für die thematisch vielfältige Zusammenstellung des Programms.
Dieses begann mit einem Insider-Bericht aus der Arbeit technischer Normungsgremien: Prof. Dr.-Ing. Michael Volz von der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt machte die Herausforderungen, die die im Januar 2025 in Kraft getretene neue Bau-PVO für den Stahlbau mit sich bringt, am Beispiel der EN 1090-1 deutlich. Die Norm, nach der z. B. Schweißzertifikate auf Baustellen gefordert werden, ist im Wesentlichen noch auf dem Stand von vor 30 Jahren, so der Experte. Aufgrund der neuen Bau-PVO arbeite man aktuell erneut mit Hochdruck an einer Neuausgabe, die bisher an juristischen und formalen Randbedingungen gescheitert sei. Ein besonders herausfordernder Punkt sei dabei u. a. die Integration der von der EU-Kommission neu geforderten Leistungsmerkmale zur ökologischen Nachhaltigkeit, für die es bzgl. ihrer konkreten Umsetzung noch einigen Klärungsbedarf gebe.
Nach dem Eröffnungsvertrag zum Thema Regelwerke führte Dieter Kocab die Zuhörer direkt hinein in die schweißtechnische Praxis: Der Geschäftsführer der KDTechnologie-Beratung GmbH zeigte häufig noch ungenutzte Potentiale des MSG-Schweißens auf. Dabei schilderte er für konkrete Anwendungsfälle geschaffene Lösungen aus verschiedenen Marktsegmenten wie Behälter- Schiff-, Schienenfahrzeug- und Brückenbau, die z. B. Wirtschaftlichkeit, Qualität, Ergonomie oder Arbeitssicherheit optimieren. Da innovative neue Arbeitsweisen – z. B. Schweißen mit langem Stick out oder Absaugbrennern – für die betroffenen Mitarbeiter allerdings oft zunächst gewöhnungsbedürftig seien und teilweise auf Misstrauen stießen, sei eine gezielte Beratung der Betriebe und Schulung des Personals von entscheidender Bedeutung.
Ein Bauwerk aus dem späten 19. Jh. oder der ersten Hälfte des 20. Jh. braucht eine Reparaturschweißung – doch woher wissen, ob der Stahl schweißgeeignet ist? Diese Frage stand bei Steffen Wagner im Fokus, der den Themenblock „Praktische Anwendungen und Erfahrungen“ mit einer Beschreibung des von der SLV Halle entwickelten „Technologischen Aufschweißbiegeversuches“ eröffnete. Der Versuch liefert Informationen über das Rissauffangvermögen des Stahls und hilft so bei der Einschätzung des Risikos der Entstehung von Sprödbrüchen. Die Prüfung kann bei verschiedenen Temperaturen bis zu -40 Grad erfolgen und gibt Hinweise darauf, ob in Bereichen potentieller Schweißungen durch Wärmebehandlungen („Revitalisierungsglühen“) die Zähigkeit erhöht werden muss. Wagner gab in seinem Vortrag Einblicke in die Prüfung der Lesumbrücke bei Bremen 2019 und ordnete den Aufschweißbiegeversuch in weitere bei Altstahl sinnvolle Werkstoffprüfungen ein.

1.600 Werften an der Pazifkküste: Schiffbau in China
Weit in die Ferne ging es für die Tagungsgäste als nächstes mit Klaus-Peter-Schmidt von KPS Schweißtechnik & Beratung: „Aktueller Stand im Schiffbau in China“ lautete sein Thema. China hat 2024 die weltweite Führungsrolle beim Bau großer Schiffe übernommen, mit z. B. 81% Weltmarkt-Anteil bei Containerschiffen, 75% bei Massengutfrachtern, 74% bei Tankern, auch der Bau von Kreuzfahrtschiffen, Offshore-Schiffen und Autofrachtern boomt. Die Bedeutung des Fernost-Landes im Schiffbau lässt sich auf wettbewerbsfähige Preise und hohe Produktionskapazitäten (1.600 Werften sind entlang der Küste angesiedelt!) zurückführen. Dazu kommt ein hohes Qualitätsbewusstsein: China hat sich an internationale Schweißstandards wie ISO und AWS angepasst, investiert in Schulungen und Zertifizierungen und befriedigt ebenso die Nachfrage nach umweltfreundlichem Schiffbau. In den Produktionshallen sind zudem zukunftsweisende Techniken wie automatisiertes Schweißen, Cobots, Inverter-Schweißgeräte, Hochgeschwindigkeits- und Laserschweißen weit verbreitet, wie Schmidt u. a. mit Original-Videos illustrierte.
Wie können 30 mm dicke Bleche aus Schiffbaustahl kostengünstig und hochwertig verschweißt werden? Dieser Frage widmete sich im Anschluss Dr. Sergej Gook vom Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. Gook stellte eine Kombination zweier Hochleistungsverfahren vor – Laserhybrid- und Unterpulverschweißen (UP). Während UP-Schweißen sich durch hohe Abschmelzleistungen und einen stabilen Schweißprozess auszeichnet, liegen die Vorteile des Laserhybridschweißens in erhöhter Einschweißtiefe, hoher Schweißgeschwindigkeit, reduziertem Wärmeeintrag und minimalem Verzug. Bei dem von Gook präsentierten zweistufigen Verfahren wird zunächst eine ca. 25 mm tiefe Laserhybrid-Naht gezogen, danach von der gegenüberliegenden Seite eine ca. 8 mm tiefe UP-Naht. Die Überlappung der beiden Lagen führt zum geschlossenen Nahtquerschnitt. Das Verfahren mache eine aufwendige Kantenvorbereitung unnötig, reduziere den Schweißzusatzbedarf und habe damit, so der Experte großes Potenzial, z. B. die Herstellung von Offshore-Gründungsstrukturen wirtschaftlicher zu gestalten.
Schiffspropeller aus dem 3D-Drucker
Eine weitere zukunftsweisende Fertigungsmethode stand beim nächsten Vortrag im Mittelpunkt: Additive Fertigung. Wie Christian Klötzer-Freese von der Mecklenburger Metallguss GmbH betonte, hält die Technik zunehmend auch in den Schiffbau Einzug und bietet sich besonders für große Einzelteile an, die mit herkömmlichen Methoden nur langsam, kostenintensiv und schwierig herstellbar sind – wie z. B. Schiffspropeller. Klötzer-Freese zeigte ausführlich, wie die komplexen Geometrien aus doppelt gekrümmte Flächen mit dünner werdenden Blattspitzen Schicht für Schicht aufgebaut werden können, wobei eine Kontrolle in Echtzeit durch am Roboter montierte Laserscanner erfolgt, die dem Bediener Rückmeldung über die aktuelle Lagenhöhe und -breite geben. Auch das anschließende Schleifen und Fräsen, das notwendig ist, um die raue Oberfläche aus Schweißraupen in einen strömungstechnisch optimierten Propeller zu verwandeln, könne – so Klötzer-Freeses Blick in die Zukunft – direkt von den Schweißrobotern, übernommen werden, die hierfür automatisch ihr Werkzeug wechseln.
Um die Frage der Vorhersagbarkeit von Schweißeigenspannungen drehte sich alles bei der nächsten Referentin: Jacqueline Benavides Flores von der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Schweißeigenspannungen sind innere Spannungen, die durch ungleichmäßige Abkühlung und Schrumpfung sowie äußere Zwangsbedingungen beim Schweißprozess im Material eines Werkstücks entstehen, und in ungünstigen Kombinationen mit Betriebslasten dessen Lebensdauer verkürzen können. Herkömmliche experimentelle Untersuchungen von Schweißeigenspannungen bestehen in zerstörenden und zerstörungsfreien Methoden, z. B. Bohrlochmethode oder Ultraschall, sowie der Aufzeichnung des zeitabhängigen Temperaturfeldes während des Schweißens und der Abkühlung. Da diese zeitlich und personell sehr aufwendig sind, wurde an der TUHH eine numerische Methode entwickelt, um Schweißeigenspannungen und ihre Auswirkungen auf die Ermüdungsfestigkeit über eine mathematische Simulation abschätzen zu können.

Nachwuchs begeistern mit Cobots und Schweißsimulatoren
Mobile Cobits, ohne Aufwand für Betriebe jeder Art einsetzbar, und auch zum Mehrlagenschweißen geeignet – was in dieser Hinsicht heutzutage möglich ist, zeigten als nächstes Patrick Haber und Thomas Büttner von Robolution. Sie präsentierten ein System, das nicht nur eine Oberflächendigitalisierung des Nahtvolumens im Koordinatensystem des Roboters mittels Sensorik beinhaltet, sondern darüber hinaus auch die Bahnen zum Mehrlagenschweißen automatisch generiert, wodurch das bisher zeitaufwendige manuelle Programmieren entfällt. Viele interessierte Nachfragen aus dem Publikum ließen offensichtlich werden, dass mit dem Thema der Nerv der Zeit getroffen war. Der zunehmende Einsatz von Schweißrobotern könne, wie Haber betonte, auch für die Nachwuchsgewinnung eine große Rolle spielen, da sich gerade junge Leute eher für die Arbeit mit hochmodernen Cobots als für eine herkömmliche Tätigkeit als Schweißer begeistern ließen.
Den eklatanten Fachkräftemangel in der Schweißtechnik bekämpfen – dieses Thema stand auch bei Martin Juhn von Fronius Deutschland im Fokus. Juhn setzte allerdings bei der Ausbildung an, indem er zeigte, wie potenzielle Nachwuchskräfte sich durch Schweißsimulatoren auf spielerische Art mit dem Schweißen vertraut machen können. Komplexe Schweißprozesse werden dabei realitätsnah simuliert, wodurch Anfänger gefahrlos, kostengünstig, ressourcenschonend und mit permanentem Feedback Schritt für Schritt ihre Handfertigkeiten verbessern können. Auch vor- und nachbereitende Arbeiten wie Massekabel anbringen, Schweißparameter einstellen oder die entstandene Schweißnaht reinigen sind in der Augmented Reality möglich. Die praktischen Übungen sind dabei eng mit theoretischen Inhalten verbunden, sodass Lernende sich umfassend selbstständig Wissen und Geschicklichkeit aneignen können, ohne permanent auf die Anwesenheit von Lehrkräften angewiesen zu sein.
Den Vortragstag beschloss ein Ausflug in das Thema Reparatur von Grauguss-Bauteilen. Michael Mengel von Metalock Engineering Germany stellte das so genannte „Metalock-Verfahren“ vor, bei dem mehrere Lagen vorgefertigter 6 bis 7 mm hoher Riegel quer zu aufgetretenen Rissen in das Material eingesetzt, verstemmt und verschraubt werden. Bei umfangreicheren Rissen kommen größere „Masterlocks“ zum Einsatz. Mengel zeigte für beide Verfahren praktische Anwendungsbeispiele, vom ausgebrochenen Bereich im Mannloch eines Schiffsmotorblockes über das beschädigte Turbinengehäuse bis hin zum gerissenen Oldtimer-Motorblock.
Seien Sie mit Ihrem Betrieb unser Exkursionsziel für 2026!
Wir – die SLV Nord, aber auch im Namen unserer Mitveranstalter DVS-BV Hamburg und Schiffbautechnische Gesellschaft gesprochen – danken allen Referenten ganz herzlich für ihre engagierten Vorträge, ebenso der Firma STILL für den hochinformativen Werksbesuch. Bereits jetzt freuen wir uns über Vortragsvorschläge für die 23. Tagung am 22./23. April 2026. Haben Sie evtl. auch eine Idee, wohin unsere Exkursion im kommenden Jahr führen könnte? Ob Betriebsbegehung, Baustellenbesuch oder besonderes Ingenieurbauwerk – wir freuen uns über Ihre Anregungen. Schreiben Sie uns diese gerne an tagungsbuero@slv-nord.de
Großer Dank gilt schließlich auch unseren Ausstellern, den Medienpartnern, und nicht zuletzt allen Teilnehmer:innen, die die Tagung auch dieses Jahr zu einem lebhaften Treffpunkt der schweißtechnischen Fachwelt mit ausführlichem fachlichen Austausch haben werden lassen.
