Von Big Data bis Brückenreparatur: 34. Schweißtechnisches Kolloquium in der HAW Hamburg
Künstliche Intelligenz spürt Schlacken auf
Nach Grußworten der Leitung des Departments für Maschinenbau und Produktion, vertreten durch Herrn Prof. Ohlendorf, der HAW Hamburg und des Vorsitzenden des DVS-Bezirksverbands Hamburg Matthias Huke ließ der erste Vortrag die Zuhörer gleich tief in die faszinierende Welt der Daten eintauchen. Was sicherlich für manch einen wie eine Zukunftsvision anmutete, ist bereits Praxis: Karsten Niepold von Siemens Energy beschrieb eindrücklich und detailreich, wie mechanisierte, mit Videokameras ausgestattete Schweißanlagen bei Siemens eine gigantische Fülle an Daten generieren, die auf interaktive Dashboards fließen. Diese können nicht nur je nach den vom Bediener benötigten Werten individuell konfiguriert werden, sondern sind darüber hinaus imstande, in enorme Detailtiefen „hineinzustechen“. Integriert in das System cloudbasierter Big-Data-Auswertung ist dabei u. a. eine KI, die speziell darauf trainiert wurde, Videos auf Schlacken und Bindefehler zu durchsuchen. „Wir müssen aufwachen und loslegen, um international nicht den Anschluss zu verpassen!“, so das eindringliche Fazit, denn Länder wie China oder Indien seien bereits mit Hochdruck an derartigen Techniken „dran“.
Das Thema Kostenoptimierung stand beim nächsten Vortrag im Fokus: Patrick Baade berichtete, wie in der Butzkies Stahlbau GmbH ca. 2.000 Schweißerstunden dadurch eingespart werden konnten, dass gezielte Wärmesteuerung bei der Herstellung von Stahlbauprofilen es ermöglichte, auf das Vorwärmen zu verzichten. Nur so konnte der schweißtechnisch höchst aufwändige Bau eines Presswerks für einen Automobilhersteller überhaupt wirtschaftlich durchgeführt werden.
Einen innovativen und praxisbezogenen Vortrag aus der angewandten Forschung der HAW Hamburg präsentierte Emilia Sulowski, Studentin an der HAW Hamburg. Der Vortrag stellte die Ergebnisse einer Zusammenarbeit mit der Firma DINSE GmbH und der HAW Hamburg dar. Im Rahmen von zwei von Prof. Sheikhi betreuten Arbeiten wurde die Frage nach der Anwendung von Wolframelektroden mit einem Durchmesser von 3,2 mm zum WIG-Schweißen im Dünnblech-Bereich untersucht. Im ersten Teil der Präsentation wurde die prinzipielle Einsatzfähigkeit der geschraubten 3,2 mm-Wolframelektroden anstatt der Standardelektroden mit einem Durchmesser von 1,6 mm zum Dünnblechschweißen nachgewiesen. Diese Ergebnisse wurden aus der Bachelorarbeit der Co-Autorin Frau Juliane Pazer entnommen und vorgestellt. Die Beantwortung der Frage nach der Lebensdauer bzw. der Wirtschaftlichkeit der 3,2 Elektrode erfolgte im zweiten Teil des Vortrages. Diese Fragestellung beantwortete Frau Sulowski mit Ihrer Studienarbeit am Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik der HAW Hamburg. Ein aufwändiger Versuch brachte die Feststellung: Beide Elektroden lieferten qualitativ dasselbe Ergebnis, wobei die 3,2 mm-Elektrode sogar eine deutlich höhere Lebensdauer aufwies. Eins zu null also für die „kurze Dicke“ gegen die „lange Schlanke“.
Klimafreundliche Stahlproduktion – nicht ohne China
Als nächstes stand ein höchst aktuelles Thema auf der Tagesordnung, nicht frei von politischer Dimension: Was sind Wege zum „Grünen Stahl“? Silvio Freese von ArcelorMittal schilderte in aller Deutlichkeit das derzeitige Problem: Auf der einen Seite steigt der Weltstahlbedarf dramatisch, auf der anderen Seite gibt es noch kein kostengünstiges und praktikables Verfahren, um die CO2-Freisetzung des klassischen Hochofenverfahrens nennenswert zu vermindern. Die DRI-Reduktion von Eisenerz mit Wasserstoff sei im Moment zwar der sinnvollste Weg, doch verbrauche das Verfahren enorme Mengen an Energie: „Allein für die Umstellung der Stahlproduktion müsste die Stromproduktion in Deutschland verdoppelt werden!“ Ein eventueller Lösungsansatz: Wo immer es möglich ist, vom üblichen Stahl auf Stahlsorten wie z.B. S460N ausweichen, von denen weniger Material benötigt wird? Wie bei dem Thema zu erwarten, folgte dem Vortrag eine rege Diskussion, wobei auch bald feststand: Stahl-Großproduzenten wie China müssen bei den Bemühungen um Klimaschutz mitziehen. Denn der deutsche Anteil der weltweiten Stahlproduktion liegt gerade einmal bei 2,6 %.
Nach diesen ernsten Überlegungen konnte die Zuhörerschaft beim nächsten Vortrag Nervenkitzel pur erleben: Andreas Hachmann von der AHA Prüfungs- und Abnahme GmbH berichtete von einer Notschweißung an einer 1000 m langen hängenden Steigeleitung in einem Schacht, der zubetoniert werden sollte. Die Leitung je nach den Erfordernissen des Betonierprozesses anzuheben und zu senken, war der Plan, doch eine defekte API-Verbindung drohte das Vorhaben zunichte zu machen. Hachmann berichtete anschaulich von Entscheidungen, die unter Zeitdruck getroffen werden mussten (unter Tage stieg der Wasserspiegel!), bis zuletzt trotz nur bedingt schweißbarem API-Stahl eine Schweißverbindung die Rettung brachte – und hielt.
Laserorbitalschweißen: effektiv besonders bei langen Rohren
Die Praxistauglichkeit des Laserorbitalschweißens auf realen Baustellen zeigte im Anschluss Georg Trensch von der SLV Halle. Anhand zahlreicher Bilder und Videos nahm er die Zuhörer zu zwei Projekten mit, bei denen das Verfahren erfolgreich angewendet wurde – dem Bau einer Gaspipeline bei Greifswald und der Reparatur an einer Trinkwasserleitung in Halle. Laserorbitalschweißen zeichne sich durch hohe Schnelligkeit aus und sei dabei besonders bei Schweißungen an langen Rohren effektiv, optimiert werde es dabei zusätzlich durch ein in die Anlagentechnik integriertes koppelmittel- und kontaktfreies Ultraschall-Prüfsystem. Eine Feststellung, die nach diesem Vortrag schnell getroffen war: Schade, dass die Normgebung der rasanten Entwicklung der Technik manches Mal hinterherhinkt.
Viele wissenswerte Details rund um Schutzgase präsentierte im nächsten Vortrag Frank Steller von der Linde GmbH. Sein Thema „Formieren von nichtrostenden Chrom-Nickel-Werkstoffen“ behandelte er umfassend, verglich dabei die Eigenschaften verschiedener hierfür infrage kommender Gase, gab Hinweise zur richtigen Handhabung sowie zum Arbeitsschutz und zeigte Beispiele für Formiervorrichtungen.
Exemplarisch und bilderreich wurde es noch einmal zum Abschluss: Burghardt Senk von der Schachtbau Nordhausen GmbH betonte beim Thema „Reparatur von Brückenbauwerken“ die Wichtigkeit der richtigen Konstruktion zur Vermeidung von Schäden und beschrieb nachvollziehbar, wie vor vielen Jahrzehnten gebaute Brücken heute der überbordenden Last des damals noch nicht vorhersehbaren Verkehrsaufkommens gegenüberstehen. Unter anderem mit Videos, die die Bewegung von Rissen unter Belastung in aller Eindrücklichkeit zeigten, berichtete er von durchgeführten Reparaturen in ganz Deutschland. Jede von diesen wies ihre eigenen Herausforderungen auf und erforderte ihre eigenen speziellen Maßnahmen.
Unser Fazit der Veranstaltung: Acht gelungene Vorträge – alle höchst informativ, gleichzeitig anschaulich, spannend und kurzweilig. Sehr interessante Diskussionsbeiträge aus dem Publikum und der direkte persönliche Austausch mit Fachkolleg:innen zeichneten das diesjährige Kolloquium zudem aus. Wir danken allen Referent:innen und Teilnehmer:innen für ihr Engagement und freuen uns schon auf das 35. Schweißtechnische Kolloquium am 27.02.2024! Gerne nehmen wir Vortragsvorschläge und Wünsche für das nächste Kolloquium unter dvs.hamburg@linde.com entgegen.