Von 3D-Druck, optimierten Schutzgasen und tiefen Baugruben: 35. Schweißtechnisches Kolloquium

Mehr als 200 Branchenvertreter versammelten sich am 27.2.2024 an der HAW Hamburg zum 35. Schweißtechnischen Kolloquium. Die gemeinsame Fortbildungsveranstaltung des DVS-Bezirksverband Hamburg, der SLV Nord und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) bot ein vielfältiges Themenspektrum – vom Bolzenschweißen über optimierte Schweißschutzgase bis hin zur Additiven Fertigung und dem Fügen von Kunststoffen.

Schweißtechnisches Kolloquium am 27.2.2024 in der HAW Hamburg

Bolzenschweißen: Sicherheit durch moderne Technik

Nach Begrüßungsworten des Vorsitzenden des DVS-Bezirksverbands Hamburg Matthias Huke und Prof. Dr. Enno Stöver, Leiter des Departement Maschinenbau und Produktion der HAW Hamburg, begann das Symposium mit tiefen Einblicken in das Thema Bolzenschweißen. Das aus dem Schiffsbau stammende Verfahren, das z. B. auch bei der Personensicherung bei Höhenarbeiten oder Autobahn-Schutzplankenbefestigungen eine Rolle spielt, ist ein automatischer Schweißprozess, bei dem alle Parameter, wie z. B. Schweißstrom, Schweißzeit, Hub, Eintauchmaß und Eintauchgeschwindigkeit, im Voraus festgelegt werden. Referent Rainer Trillmich von der Bolte GmbH beschrieb mögliche Fehlerquellen wie z. B. die Blaswirkung, und betonte die Wichtigkeit der permanenten Aufzeichnung und Überprüfung aller Schweißdaten zur Qualitätssicherung. Dank zeitgemäßer Technik, so sein Fazit, sei eine hundertprozentige Überwachung und Dokumentation möglich – Bolzen könnten damit auch im geregelten Bereich sicher und wirtschaftlich geschweißt werden.

Welche positiven Effekte lassen sich durch ein genaueres Hinsehen bei der Wahl des passenden Schutzgases erzielen? Diese Frage stand beim nächsten Vortrag im Mittelpunkt. Frank Steller von der Linde GmbH ging im Detail auf Eigenschaften und Wirkungen verschiedener Schutzgase ein – neben dem Abschirmen der Wärmeeinflusszone können diese z. B. die Lichtbogenstabilität, die Nahtoptik, den Einbrand und die Korrosionsbeständigkeit erheblich beeinflussen sowie Schweißrauchemissionen senken. Steller präsentierte u. a. die Auswirkungen von Wasserstoff- und CO2-Beimischungen zu Argon beim WIG-Schweißen, zeigte den Einfluss stickstoffhaltiger Schutzgase beim WIG-Schweißen von Duplexstahl und beschrieb die Wirkung von Kohlendioxid-Zugaben in unterschiedlichen Höhen sowie Sauerstoff-Dotierungen beim MAG-Schweißen.

Dem Datendschungel Herr werden: Lösungen gegen „ungenutztes Wissen“

Der folgende Vortrag von Torsten Winterfeldt widmete sich der Frage, wie die Werkstoffprüfung tatsächlich Herstellungsprozesse optimieren und zu einer Differenzierung im Markt führen kann. Die Schwierigkeit: Im Laufe einer schweißtechnischen Produktion werden unzählige, oft schwer zu überblickende Daten erzeugt – von Produktionsauftrag, Materialzeugnis und Schweißanweisung bis hin zu Schweißdaten, Prüfanweisungen sowie diversen werkstofftechnischen Prüfbildern und Messungen. Der Software-Entwickler PACSESS setzt hier an und bietet Lösungen, um Daten aus den verschiedenen hierbei genutzten Systemen und Formaten (von Word, Excel und PDF bis hin zu teils extrem umfangreichen Bild- und Videodateien) zu extrahieren und strukturiert zusammenzuführen, um eine einfache Weiterverarbeitung zu ermöglichen.

Höchst praktisch wurde es nach diesem Ausflug in digitale Datenwelten wieder beim nächsten Thema: Im Mittelpunkt des Vortrags von Martin Willinger von der Fronius International GmbH stand der hochfrequent gepulste Lichtbogen. Willinger erläuterte die richtige Berechnung und Messung der Lichtbogenleistung beim WIG-Schweißen, betrachtete den elektrischen Schweißkreis im Detail und analysierte Schmelzbadverhalten und Lichtbogenverhalten bei unterschiedlichen Pulsfrequenzen.

Additive Fertigung: Es ist Bewegung im Thema Normen

Nach einem gemeinsamen Mittagessen drehte sich in zwei Vorträgen alles um das Thema 3D-Druck. Jens Groffmann vom TÜV Nord beschrieb zunächst die Grundvoraussetzungen für das Verfahren. Lange habe es an Normen für die Additive Fertigung gefehlt, seit November 2023 allerdings seien einige Regelwerke herausgebracht worden, die sich sowohl auf die Personalqualifikation als auch die Produktion beziehen. So biete z. B. die DIN EN ISO/ASTM 52920 erstmals eine international gültige Norm für die Zertifizierung industrieller additiver Fertigungsstätten. Mit dem Angebot Iam-approved.com präsentierte Groffmann anschließend eine Möglichkeit des normgerechten Nachweises von Materialeigenschaften für Betriebe, die nicht über ein eigenes Labor verfügen.

Das Thema Additive Fertigung führte Prof. Dr.-Ing. Shahram Sheikhi weiter, indem er über die Forschungsaktivitäten der HAW Hamburg zum 3D-Druck von metallischen Komponenten berichtete. Er stellte dabei die vier Verfahren der additiven Fertigung vor: Meist sei mit „3D-Druck“ das LPBF-/SLM-Verfahren gemeint. Weniger bekannt seien das Lichtbogenbasierte Verfahren (WAAM), das Laserpulverauftragsschweißen (LMD) und die Additive Fertigung durch Kaltgasspritzen (CSAM). Er beschrieb alle vier Vorgehensweisen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie möglichen Fehlerquellen, zeigte Gefügebilder und benannte typische Einsatzgebiete. Dabei hob er die Bedeutung der Klanganalyse zur Qualitätssicherung hervor – und betonte nicht zuletzt die Nähe aller 3D-Druck-Verfahren zur Schweißtechnik.

Kunststoff-Fügetechnik: Gefragt bei Hochspannungstrassen und Sägezähnen

Einen Ausflug in eher fremde Materialwelten bedeutete für viele Zuhörer das nächste Thema: Jörg Belfin von der SLV Nord gab einen Einblick in das Fügen von Kunststoffen. Dabei wies er auf wesentliche Unterschiede zum Metallschweißen hin – da Kunststoff Wärme schlechter leitet, erfordert das Kunststoffschweißen z.B. eine längere Einwirkungszeit sowie zusätzlichen Druck. Nach einem Überblick über die Personalqualifikationen, die sich im Kunststoffschweißen und -kleben an die des Metallschweißens anlehnen (z. B. Fachingenieur/Fachmann für Kunststoffschweißen, Klebfachingenieur, Klebfachkraft…) präsentierte er verschiedene Anwendungsbereiche der Kunststofffügetechnik, von Kabelschutzrohren auf Hochspannungstrassen über Rohrleitungssysteme im Schiffbau bis hin zu mit Sägeblättern verklebten Sägezähnen.

Den Abschluss der Veranstaltung boten spektakuläre Bilder – Heiko Wojke von der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG berichtete von schweißtechnischen Herausforderungen bei der Herstellung tiefer Baugruben. Eindrücklich präsentierte er Bauprojekte außergewöhnlicher Dimensionen: Baugruben mit 25 m hohen Wänden, die enormem Außendruck standzuhalten haben, da sie von Wasser umgeben sind, und daher mit aufwändigen Aussteifungen versehen werden müssen. Schweißtechnische Arbeiten an solchen Projekten stellen hohe Anforderungen an die Arbeitssicherheit, vom Schutz vor problematischen Witterungsverhältnissen über den täglichen Zugang zum Arbeitsplatz bis hin zu Evakuierungsmöglichkeiten im Notfall.

Wir danken allen Referenten für ihre spannenden, informativen und kurzweiligen Vorträge, ebenso sowie den Teilnehmenden für die zahlreichen interessanten Nachfragen und Diskussionsbeiträge. Auch dieses Jahr war das Schweißtechnische Kolloquium wieder ein lebhafter Ort des Austauschs über neueste technische und normative Entwicklungen, des „Updatens“ von Fachwissen und nicht zuletzt des Netzwerkens innerhalb der Branche. Schon jetzt blicken wir mit Vorfreude auf das 36. Schweißtechnische Kolloquium Ende Februar 2025 – haben Sie Vortragsvorschläge oder Wünsche, richten Sie diese gern an dvs.hamburg@linde.com.

Weitere Impressionen:

Prof. Dr. Enno Stöver, Leiter des Departement Maschinenbau und Produktion der HAW Hamburg, spricht ein Grußwort
Mehr als 200 Personen nahmen am 35. Schweißtechnischen Kolloquium teil
Dipl.-Ing. Frank Steller, Linde GmbH, stellt die Vorteile optimierter Schweißschutzgase dar
Dipl.-Kfm. Torsten Winterfeldt, PACSESS Ltd, spricht über Möglichkeiten des strukturierten Zusammenführens schweißtechnischer Daten
Martin Willinger, Fronius International GmbH betrachtet detailreich den hochfrequent gepulsten Lichtbogen
Dipl.-Ing. Jens Groffmann, TÜV NORD Systems GmbH, ist Experte für die normativen Voraussetzungen des 3D-Drucks. Rechts: Moderator Dipl.-Ing. Matthias Huke
Prof. Dr.-Ing. Shahram Sheikhi, HAW Hamburg, stellt verschiedene Verfahren der Additiven Fertigung metallischer Komponenten gegenüber
Prof. Dr.-Ing. Shahram Sheikhi und Dipl.-Ing. Matthias Huke
Additive Fertigung metallischer Komponenten – Probestücke zum Anfassen
Jörg Belfin, SLV Nord, gibt einen Überblick über Anwendungsgebiete von Kunststoff-Fügetechniken
Heiko Wojke, Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, weist auf schweißtechnische Herausforderungen bei der Herstellung tiefer Baugruben im konstruktiven Ingenieurbau hin